Aurelia in der vierten Dimension

Journal 13. Mai 2021

Im Büro a+o haben wir seit längerer Zeit die 4-Tage-Woche. Aurelia hat einen grossen Teil der dadurch entstandenen letzten hundert «freien» Freitage dazu genutzt, um sich im Bereich der Bewegtbilder weiterzubilden. Sie ist in völlig neue Welten eingetaucht und hat Einblick in die unendlichen Möglichkeiten des 4-dimensionalen Raums bekommen. Sie hat sich neue Tools angeeignet und ist nun um viele Inspirationen und Erfahrungen reicher. Hier blickt sie zurück und berichtet von diesen spannenden zweieinhalb Jahren. Und präsentiert erstmals ihr soeben fertiggestelltes Diplomprojekt.

Im Herbst 2018 begann ich die berufsbegleitende Ausbildung «3D-Visualisierung und Animation» an der EB Zürich. Damals wusste ich nicht viel über Cinema 4D. Einzig, dass einem die 3D-Grafiksoftware unendlich viele Möglichkeiten eröffnet. So startete ich relativ naiv, weil ich Lust darauf hatte, die Welt des 3-dimensionalen Raums und der Animation zu entdecken. Im Lauf der Weiterbildung bekam ich Einblick in unterschiedlichste Bereiche und Techniken, sammelte in kleinen Projekten und Aufgaben Erfahrungen und erarbeitete mir ein Repertoire an Kenntnissen. Ich habe Tiere und Pflanzen modelliert, Innenräume eingerichtet und beleuchtet, Obst materialisiert, mit physikalischen Simulationen experimentiert und ein Selbstportrait erstellt.

Das Gebiet der 3D-Visualisierung und Animation ist unendlich gross und komplex. So musste ich mich in der Ausbildung schnell davon verabschieden, dass ich alles lernen könnte. Also konzentrierte ich mich darauf, zumindest das Grundprinzip zu begreifen. Oft musste ich mich mit einem Teilresultat oder einer unfertigen Übung zufrieden geben, weil die Zeit schlicht nicht reichte. Mit jedem weiteren Modul kam völlig neuer und komplexer Lernstoff dazu. Umso mehr galt es, in jedem Fachgebiet jenes Wissen herauszupicken, das für mich persönlich und für mögliche praktische Anwendungen im Büro a+o am interessantesten war.

Im Bereich der Illustration, der Bildwelt, animierten Plakaten, dynamischen Anzeigen und bewegten Logos sehe ich viel Potenzial. Die grosse Palette an Werkzeugen und die Möglichkeit physikalische Eigenschaften zu simulieren, eröffnen mir neue Wege, Arbeitsweisen und somit eine neue visuelle Sprache. In den sozialen Medien lenken kurze Videos besondere Aufmerksamkeit auf sich. Im Gegensatz zum statischen Bild kann ich mit solchen kleinen Geschichten eine fesselnde Dramaturgie erzeugen.

Das Diplomprojekt
Nach gut einem Jahr Ausbildung waren bereits Ideen für mein Diplomprojekt gefragt. Thema und Umfang waren frei wählbar. Das Ziel: ein Projekt von A bis Z mit all seinen Phasen und Herausforderungen umsetzen, dabei bereits erlernte Kenntnisse vertiefen und sich weitere aneignen. Für mich war klar, dass ich etwas Experimentelles machen wollte. Ausgehend vom Thema wollte ich spielerisch die Möglichkeiten der Tools ausreizen und daraus neue, überraschende Bildwelten entwickeln. Musik zu visualisieren war für mich dabei ein reizvoller Ansatz.

Im Gespräch mit meinem Cousin David Koch, dem Musiker und Entwickler von The Pill Pedal, entstand am weihnachtlichen Familienfest 2019 die Idee einer Zusammenarbeit. Er plante für 2020 ein musikalisches Solo-Projekt. Dabei stand für ihn ebenfalls das Experimentieren im Vordergrund. Für uns beide war das eine ideale Kombination. Parallel zu meinen laufenden experimentellen Studien in Cinema 4D, begann ich mich mit dem Inhalt und der Musik von David auseinanderzusetzen. Mich interessierte vor allem die Vision hinter seinem Musikprojekt «Normal People». In Gesprächen, unzähligen Mails und unendlich langen Sprachnachrichten tauschten wir uns über Ideen, Ziele und das Potenzial unseres gemeinsamen Vorhabens aus. David erzählte von der Entstehung seiner Musik, die oft auf Intuition basiert: ausprobieren, beobachten, hören, vieles wieder verwerfen, andere Versionen oder Kombinationen erstellen. Und im richtigen Moment spüren, dass es endlich passt. Ähnlich ging es mir auf der Suche nach der Bildsprache für den Film zu seinem Song «Transformation». Ich musste für das noch ungreifbare Projekt ein Gefühl entwickeln. Dabei stellte ich mir unzählige Fragen: Wer ist «Normal People»? Eine fiktive Person oder die Projektion von David? Was lösen seine Klangwelten zusammen mit dem ungewohnt hohen Gesang aus? Welche Stimmungen und Bilder passen dazu? Und wie erzeuge ich einen Spannungsbogen über sechseinhalb Minuten?

Ich begann visuelle Fragmente für Davids Musik zu entwickeln. Anfänglich sehr abstrakt, mit sich bewegenden Formen und Oberflächen – daraus entstand die Visualisierung des Refrains. Irgendwann merkte ich, dass es im Video neben dem Abstrakten auch einen realen Ort braucht. Etwas Vertrautes, an dem sich der Betrachter orientieren kann. Es entstand die Idee einer Parallelwelt, eine Art Bühne mit theatralisch beleuchteten und etwas absurden Szenen: eine Treppe, die ins Nichts führt, Steine und Nebel. Dazu kamen Bäume, die im Wasser stehen und im Beton eingewachsen sind. Diese sehr cleane digitale Welt ergänzte ich mit realen Filmaufnahmen von Mensch und Natur, um Spannung und Irritation zu erzeugen. Die Geschichte, die ich dabei erzähle, ist nur schwer greifbar – selbst für mich. Viel mehr war mein Ziel, den Betrachter mit überraschenden Bildern zu faszinieren und mit einer völlig neuen, und doch vertrauten Welt zu konfrontieren.

Den fertigen Film zum Track «Transformation» kann David nun für die Promotion von «Normal People» nutzen. Dies ist wertvolles Instrument, um sich an Festivals, für Musikresidenzen oder für Förderbeiträge zu bewerben. Zudem kann er das Material für Social Media und später für Drucksachen wie Veranstaltungsplakate oder für ein Plattencover verwenden. Im Herbst 2021 hat David Zeit eingeplant, um ein ganzes Album für Normal People zu erarbeiten. Ich freue mich und bin gespannt auf seine weiteren musikalischen Kreationen, die er mit elektrischer Gitarre, Stimme und Synthesizern produziert.

Und mein Fazit? Der Lehrgang «3D Visualisierung und Animation» (ab Frühling 2021 neu in Aarau an der Schule für Gestaltung Aargau SfGA) hat mich in vieler Hinsicht weitergebracht. Speziell das Diplomprojekt war eine sehr vielschichtige und spannende Erfahrung. Ein Zuckerschlecken war es jedoch nicht. Die Ausbildung erforderte viel Selbstdisziplin, Eigeninitiative und Geduld. Und die Fähigkeit, immer wieder mit frischem Blick und Selbstkritik ein Projekt weiterzuentwickeln. Das hat sich jedoch mehr als gelohnt – und kommt mir nun bei der täglichen Arbeit zugute.

Möchtest du mehr Einblicke in den Prozess und die Entstehung meines Films? Hier geht’s zum Making of.

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