Seltenes Glück und Herausforderung: Was tust du, wenn ein Kunde dir bei einem Auftrag völlig freie Hand bei der Wahl des Mediums lässt? So geschehen 2019, als Werner Schenker uns 250 Zeichnungen auf den Tisch legte. Er wollte sie veröffentlichen – sei es als Kalender, als Kartenset, als Buch oder wie auch immer. Werner war offen für alles, und wir waren gefordert. Aus dieser kuriosen Vorgabe entwickelte sich ein tolles Projekt, das beide Seiten glücklich machte.
Alles begann 2006. Damals stellte sich Werner Schenker, Lehrperson für Bildnerisches Gestalten, die Frage, woher eigentlich die Ideen kommen. Um das herauszufinden, stellte er sich die Aufgabe, intuitiv und ohne Plan mit Bleistift auf leere Blätter zu zeichnen, um zu sehen, was daraus entsteht. Innerhalb von gut zwei Jahren kamen so über 250 kleine Kunstwerke zusammen. Ergänzt wurden diese durch Texte von René Moor. 2018 fiel Werner Schenker dieses vergessene Material zufällig wieder in die Hände. Er wollte es veröffentlichen, und kam damit zum Büro a+o.
Wir waren total frei, was wir aus den Zeichnungen machen. Dennoch war die Form einer gebundenen Ausgabe als Buch schnell klar. Interessant gestalteten sich die Fragen nach der Auswahl der Zeichnungen und rund um die Dramaturgie. Wie sollten die Zeichnungen und die dazugehörigen Texte miteinander korrespondieren? Zudem wurde für uns immer klarer, dass es interessant sein könnte, wenn wir im Buch über das mehr als ein Jahrzehnt alte Projekt auch einen Bogen in die Gegenwart schlagen könnten.
Als erstes fällt die ungewöhnliche Grösse des Buches auf. Im ersten Teil finden sich die eingescannten Zeichnungen von Werner Schenker. Wir haben sie bewusst in der Originalgrösse A4 abgebildet. In diesen filigranen und fantasievollen Wunderwelten gibt es viel zu entdecken. Auffallend ist das goldgelbe Kapitel, das sich dominant im hinteren Teil des Buches zeigt. Darin finden sich die kurzen Texte, die René Moor passend zu den Zeichnungen geschrieben hat. Sie alle sind mit einer Nummer versehen, die der Seitenzahl der jeweiligen Zeichnung entspricht. Dadurch weiss der Leser sofort, welcher Text zu welcher Zeichnung gehört.
Den dritten Teil des Buches hat das Büro a+o angeregt: Um dem Projekt der zwei Freunde nach über einem Jahrzehnt frisches Leben einzuhauchen, haben wir ihnen einen Selbstversuch vorgeschlagen: Zwölf Jahre nach den leeren Blättern sollten sie gemeinsam einen Abend in einem Klassenzimmer mit einer leeren, grossen Wandtafel verbringen, die sie spontan bespielen sollten. Gesagt, getan. Das Experiment dokumentierten sie selber mit einer Einwegkamera und einem Audio-Aufnahmegerät. Das Protokoll dieses kuriosen Abends in Text und Bild hebt sich nicht nur inhaltlich und grafisch vom restlichen Buch ab. Auch haptisch erfolgt hier ein bewusster Bruch. Denn als Referenz zu den analog entwickelten Bildern der Einweg-Kamera entschieden wir uns hier für einen Wechsel auf ein glanz-gestrichenes Papier.
Abgeschlossen wurde das Buchprojekt mit einer stimmungsvollen Vernissage im Januar 2019. Zu Live-Musik, Häppchen und Getränken konnte man hier nicht nur die Bücher kaufen und signieren lassen, sondern auch die Originalzeichnungen von Werner Schenker erwerben.